So leben Menschen in Zukunft
Immer mehr Menschen ziehen in die Städte, Energieerzeugung wird immer wichtiger, die Mobilität verändert sich – in 100 Jahren wird die Welt anders aussehen, die Menschen anders leben und wohnen. Ein Blick in die Glaskugel.
Wie leben und wohnen die Menschen in 100 Jahren? Diese Frage beschäftigt schon heute Experten wie den Hildener Architekten Christof Gemeiner und seine Kollegen. Ein Versuch der Annäherung an die Antwort auf diese Frage.
Wohnraum Noch um 1880/1890 lebten die meisten Menschen in den Städten nicht in Wohnungen, sondern sie teilten sich Zimmer in Häusern, erklärt Gemeiner. Die Wohnung sei eine Erfindung, die sich erst seit der Moderne durchsetzte. „Der Wohnraum pro Mensch lag nach dem Zweiten Weltkrieg bei vier bis fünf Quadratmeter – heute sind wir bei etwa 40 Quadratmetern.“ Die Entwicklung gehe wieder in die Richtung, weniger Raum pro Kopf zu nutzen. „Es macht einfach keinen Sinn, wenn eine alleinstehende Dame auf 150 Quadratmetern lebt“, sagt Christof Gemeiner. Im Jahr 2050 sei jeder Dritte älter als 60. „Es gibt dann eine riesige Anzahl von Einzelpersonen, die nicht alle auf 100 Quadratmetern leben können.“
Wohnort Im Jahr 1900 lebten zehn Prozent der Menschen in Städten, 2007 waren es bereits 50 Prozent, zählt der Architekt auf. „2025 werden es 75 Prozent sein, Tendenz weiter steigend.“ Die Menschen erhofften sich ein besseres Leben in den Städten. „Durch den Zuzug erhöht sich der Druck, Wohnraum wird eng“, so Gemeiner. Das sei bereits seit einiger Zeit zu spüren, auch in Hilden und den anderen Städten im Kreis Mettmann. Während manche ländliche Regionen ausbluten, müssen die Städte Lösungen finden, die wachsende Zahl der Menschen unterzubringen.
Wohnumfeld Die Funktionstrennung zwischen Wohnen und Arbeiten hat zu sehr viel Pendelei und zu sogenannten Schlafstädten geführt. Das wird sich in Zukunft wieder ändern und zwar immer dort, wo es möglich ist, da ist sich der Hildener sicher. „Der Trend geht zur 15-Minuten-Stadt – in 15 Minuten ist alles erreichbar, weil alles zentral liegt: Wohnung, Arbeitsstätte, Nahversorgung, Kultureinrichtungen. Wir werden weniger mit dem Auto fahren, weil wir alle Bedürfnisse in unserem direkten Umfeld befriedigen können. „Im Idealfall bewegen wir uns zu Fuß oder mit dem Fahrrad fort.“
Wohnmodelle „Wir brauchen Wohnmodelle, die es heute noch nicht gibt oder nicht genügend gibt“, sagt Gemeiner. Einen Blick in eine mögliche Zukunft könnte man bereits jetzt beispielsweise beim genossenschaftlichen Wohnen im Hildener Westen werfen. Bei Trialog an der Düsseldorfer Straße (früher Kirche St. Johannes Evangelist) leben viele Menschen unter einem Dach, teilen sich einige Gemeinschaftsräume und pflegen Nachbarschaft. Aber das ist nur eines von vielen Modellen, an die heute vielleicht noch überhaupt nicht gedacht wird. So werde es auch Mehr-Generationen-Wohnen geben. „Zugespitzt gesagt, könnte es so sein, dass wir keine Kindertagesstätten und keine Seniorenheime mehr benötigen: Die Großeltern passen auf die Kinder auf, später werden sie von der jungen Generation zu Hause gepflegt.“
Wohnungsbau Die Architektur der Gebäude werde sich wieder mehr mit lokalen Begebenheiten auseinandersetzen. „Viele Innenstädte sehen gleich aus, sei es Chicago, Schanghai oder Dubai. Das kommt daher, weil wir auf Teufel komm raus klimatisieren und daher auf das lokale Klima keine Rücksicht mehr nehmen müssen“, sagt Christof Gemeiner. Dabei sollten Rahmenbedingungen wie Mikroklima viel stärker in die Planungen einfließen. „In wärmeren Gegenden muss tiefer in den Boden gebaut werden, um eine natürliche Klimatisierung zu erreichen und den Speichereffekt der Erdmasse zu nutzen.“ Für Hilden und die anderen Städte im Kreis stellt er sich eine Bauweise mit massiveren Wänden vor, die Häuser müssten mehr den Himmelsrichtungen nach ausgerichtet werden, die Räume höher werden, damit Kälte wie Wärme länger in den Räumen gespeichert werden könnten.
Wohnungspolitik Den sich selbst regulierenden Markt gibt es nicht, da ist sich Christof Gemeiner sicher: „Schauen wir nach Gerresheim. Dort liegt seit Langem das Bauprojekt auf dem ehemaligen Glashüttengelände brach.“ Solche Spekulationen könnten sich Städte in Zukunft nicht mehr leisten. „Der Staat wird immer regulierender eingreifen müssen, damit so etwas nicht mehr passiert“, sagt Gemeiner. Städte müssten dort, wo es ihnen möglich sei, Grundstücke kaufen und selbst entwickeln. „Wir dürfen das Handeln nicht den Investoren überlassen. Die haben andere Ziele als Städte und Stadtgesellschaften.“
Wohndichte Städte wie Hilden oder Haan sind eigentlich bereits komplett bebaut. Nur noch wenige Flächen bleiben übrig, um dort Wohnbebauung zu entwickeln. Daher müsste vorhandene Bebauung verdichtet werden, beispielsweise durch das Aufstocken der Häuser. Aber die Gebäude müssten auch vielfältiger genutzt werden. „Unten ist ein Supermarkt, darüber ein Fitnessstudio, daneben Wohnungen.“
Energiegewinnung Schon heute gibt es Häuser, die auf eine traditionelle Heizung verzichten, Abwärme und solare Gewinne nutzen und das Gebäude sensorüberwacht intelligent belüften. „Energiegewinnung wird wichtiger als Energiesparen“, sagt Gemeiner. Gebäude werden vor allem Strom selbst erzeugen. Die Künstliche Intelligenz wird dafür sorgen, dass dieser Strom optimal verteilt wird, nicht nur im eigenen Haus. Wer 14 Tage ohne Auto verreist, stellt die Batteriekapazität seines Fahrzeugs zur Verfügung, damit andere Menschen diesen Strom nutzen können. „In diesem Bereich steckt viel Potenzial, Stichwort Smart Grids. Wir stehen bei der Entwicklung aktuell erst ganz am Anfang“, erklärt der Architekt.
Rohstoffe Bauen mit Holz werde immer wichtiger, aber dieser Rohstoff stehe nur begrenzt zur Verfügung. An anderen natürlichen Baustoffen, hergestellt aus Pilzmyzel werde intensiv geforscht. „Wir werden Häuser mittels 3D-Druck herstellen – und der Rohstoff kann Müll sein“, sagt Gemeiner.