Digitalisierung nimmt langsam Fahrt auf
Maklervermittlung, Besichtigung, Vertragsunterzeichnung: Immer mehr Immobilienfirmen setzen auf Apps und Videotools, die Arbeitsprozesse beschleunigen und transparenter machen sollen. Doch in der Branche gibt es auch Skepsis.
Stellen Sie sich vor, Sie haben zwei Immobilien zum Kauf zur Auswahl. Bei der Besichtigung waren Sie von beiden Immobilien begeistert und suchen nun Rat bei ihren Freunden. Von einer Immobilie haben Sie lediglich Fotos, die Sie bei der Besichtigung gemacht haben, zur anderen liegen Ihnen Videos eines virtuellen Rundgangs sowie Drohnenaufnahmen vor. Die können Sie mit Ihren Freunden teilen und Ihnen so einen realistischen Eindruck von der Immobilie verschaffen – so, als wären sie selbst bei der Besichtigung dabei gewesen. Was glauben Sie, zu welcher Immobilie Ihre Freunde Ihnen raten werden?
Szenarien wie diese sind heute zwar längst möglich, allerdings haben viele Vertreter der Immobilienbranche die Vorteile der Digitalisierung für sich noch nicht erkannt, sagt der Frankfurter Immobilien-Investor und Bestseller-Autor, Thomas Knedel. Zwar habe Corona den Einsatz virtueller Besichtigungen verstärkt, dennoch sieht Knedel vielfach noch „verkrustete Strukturen“ in der Branche. „Viele arbeiten einfach nach dem Motto: Das haben wir schon immer so gemacht, anstatt neue Wege zu gehen“, sagt der Experte, der auch Strategie-Coachings rund um Immobilieninvestments anbietet. Wie das funktionieren kann, zeigt sein Unternehmen selbst: „Vor fünf Jahren haben wir unsere Prozesse digitalisiert“, sagt er. So nutzt er vor allem Apps mittelständischer Start-up-Unternehmen, die zum Beispiel dabei helfen, den Vermietungsprozess besser zu koordinieren – von der Mietersuche bis zur Übergabe der Immobilie. Die Software liegt sicher in der Cloud. „Unsere Exchange-Server haben wir schon lange abgeschafft.“ Die Software sortiert die passenden Bewerber für eine Immobilie aus, übernimmt die Terminvergabe und erfasst die wichtigsten Käuferdaten. „So können Sie bequem auf dem Tablet den Mietvertrag unterzeichnen.“
Grundsätzlich ließen sich alle relevanten Prozesse wie Vermarktung, Verwaltung, Bewirtschaftung und Kundenservice per Software steuern. „Das bringt enormen Zeitgewinn und führt letztlich zu mehr Umsatz beim Unternehmen und einer höheren Zufriedenheit bei Kunden und Mietern“, ist Knedel überzeugt. Zudem sorge die Software für mehr Transparenz und Vergleichbarkeit der Angebote. Er stellt aber klar: Das Immobiliengeschäft ist immer ein Menschengeschäft, und das sollte es auch bleiben. Ein ordentliches Beratungsgespräch wird die Software nie ersetzen.“
Bereits 2016 schrieb die Bundesarbeitsgemeinschaft Immobilienwirtschaft Deutschland der Digitalisierung ein „hohes Veränderungspotenzial“ zu, das sich auch in der Immobilienbranche niederschlagen werde. Richtig Fahrt nahm diese Transformation bislang freilich nicht auf. Dennoch: Allein in der DACH-Region (Deutschland, Österreich, Schweiz) haben sich laut des Internetportals Proptech.de inzwischen bereits 466 Unternehmen im digitalen Bereich der Immobilienbranche angesiedelt. Diese sogenannten PropTechs bieten digitale Lösungen in diversen Teilbereichen der Immobilienbranche an.
Thomas Knedel erhofft sich vor allem eine Bündelung der verschiedenen Dienste sowie eine Standardisierung der Daten. Hier müsse auch die Politik die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen.
Auch die Mitarbeiter der Eckehard Adams Wohnungsbau GmbH in Essen sind vor einiger Zeit neue Wege gegangen. „Wir haben fast jeden Arbeitsschritt bei uns digitalisiert“, berichtet Geschäftsführerin Stefanie Adams. Ob Erstellung der Bebauungspläne, Baudokumentation oder Kundenverwaltung, alles wird mittels kleiner Programme gesteuert. Besonders beliebt sei ein spezielles Planungstool für die Kunden – der Sonderwunsch-Manager von Bau-digital –, mit dem sie Immobilien nach ihren Wünschen realitätsgetreu konfigurieren können. „Nur noch wenige Dokumente wie etwa von beglaubigten Notarurkunden oder steuerrelevante Belege müssen aufgrund der Rechtsprechung weiterhin zusätzlich in Papierform abgelegt werden“, sagt Adams. Auf einen manuellen Schritt will das Unternehmen allerdings nicht verzichten: „Der Versand von Exposé- und Objektpräsentationen erfolgt bis auf wenige Ausnahmeanfragen (Auslandskunden) nach wie vor als hochwertige Druckvorlage.“
Dr. Werner Fliescher, Geschäftsführer von Haus und Grund Düsseldorf und Umgebung, sieht beim Thema Digitalisierung noch Probleme. Zum einen seien viele Anwender noch nicht bereit, Apps zur Verwaltung ihrer Immobilie zu nutzen. Zum anderen könnten Anwendungen oftmals die „äußerst komplexe Rechtslage im Mietrecht“ nicht sicher abbilden, etwa Abrechnungssysteme für Betriebskosten oder Apps, die beim Ausfüllen des Mietvertrages helfen.
Skeptisch ist auch Andreas Lerge, Geschäftsführer der Münchener Wood Real Estate GmbH und des Holzbau Netzwerks Deutschland, die beide auf moderne und nachhaltige Holzbauweise setzen. Entscheidend seien für ihn: „Erleben, Haptik, Geruch und Gefühl. An diesem Punkt wollen viele Kunden keine Online-Besichtigung, sondern eine persönliche Beratung und einen ganz normalen Schlüssel für ihre Wohnungstür.“