Wie Immobilien auf uns wirken
Unsere Städte sind voller Reize – doch was moderne Fassaden mit unserem Gehirn machen, bleibt oft unbeachtet. Neue Studien britischer Universitäten zeigen nun, wie unterschiedlich Gebäude auf unser visuelles System wirken – und warum traditionelle Architektur uns messbar entlastet.
Wir reden viel über Lärm, Feinstaub, Hitze – aber selten darüber, was unsere Augen täglich leisten müssen. Eine Forschergruppe der University of Cambridge und der University of Essex – beides Adressen mit Rang – hat mithilfe einer Bild-KI verschiedene Varianten derselben Fassade erzeugt: mal streng gerasterte Lamellenfront, mal Bögen, Vorsprünge, feinere Proportionen. Ein Programm aus der Sehforschung berechnet dazu den „visuellen Stress“.
Vereinfacht gesagt prüft es, wie sehr ein Bild von den Mustern abweicht, an die unser Gehirn seit Jahrtausenden evolutionsbedingt gewöhnt ist: die leicht unregelmäßige Ordnung von Bäumen, Wolken, Steinen. Das Ergebnis: Am anstrengendsten sind hochkontrastreiche Fassaden, die wie riesige Strichcodes wirken. Fassaden mit gebrochener Rhythmik, Gliederung in Sockel, Mitte, Abschluss und echter Tiefe werden im Modell dagegen als deutlich entspannter bewertet.
Eine zweite Studie der University of Sussex kommt von der anderen Seite: Babys und Erwachsene sahen Fotos realer Häuser. Sie blickten länger – und mit mehr Gefallen – auf Fassaden, in denen Kanten in viele Richtungen verlaufen und sich nicht zu starren Gittern ordnen.
Man muss kein Romantiker sein, um hier ins Grübeln zu kommen. Historische Straßenräume mit ihren Gesimsen, Erkern und variierenden Fensterachsen folgen exakt diesen Prinzipien, lange bevor Algorithmen sie bestätigen konnten. Wenn Sie also durch eine Altstadtgasse schlendern und spüren, wie der Puls sinkt, ist das vermutlich weniger Nostalgie als Neurobiologie.
Dr. Axel Martin Schmitz
Der Autor ist Geschäftsführender Gesellschafter der RALF SCHMITZ GmbH.